Abseits des Gängigen
Ungewöhnliche Stücke und Instrumente beim Clavierfestival-Konzert auf Gut Berneck

In fast schon familiärer Atmosphäre musizierten am Samstagabend vier Musikerinnen und Musiker auf Gut Berneck. Im Rahmen des „Clavierfestivals“ hatte der Organist Matthias Müller drei Mitglieder seiner „famille musicale“ eingeladen. Gemeinsam musizierten sie auf verschiedenen historischen Tasteninstrumenten oder ließen sich darauf begleiten.
Müller, der über die Amforias Orgel, das riesige Instrument im Zentrum von Gut Berneck mit dem Haus verbunden ist, betonte in seiner Begrüßung, seinen Kolleginnen und Kollegen und ihm gehe es „um pure, schöne und selten gespielte Musik“. Starallüren seien ihnen fremd.
Das bewies gleich mit dem Eröffnungsstück Bart Wils, ein Virtuose auf dem russischen Bajan, einem besonderen Akkordeon mit vielen Knöpfen.

Müller selbst übernahm mit „Abendklängen – ein italienisches Gondellied“ des Komponisten Hermann Wenzel. Er musizierte auf einem Physharmonium, dem Vorgängerinstrument des Harmoniums. „Diese Instrumente wurden um 1810 bis 1820 gebaut“, erläuterte Müller. Clara Schumann sei die erste gewesen, die für ein solches Physharmonium komponiert habe. Ein eigentümlich wehmütiger Klang versetztes das Publikum in der Halle von Gut Berneck in eine italienische Sommernacht.
Die belgische Sopranistin Cristel de Meulder sang anschließend das von Franz Schubert vertonte Gedicht von Johann Wolfgang von Goethe „Liebhaber in allen Gestalten“. Bart Wils begleitete ihre warme Stimme auf dem Bajan.
Die Himmlische
Dann erklang erstmals die Celesta. Die „Himmlische“ würden viele Leute zwar kennen, aber niemand wisse so recht, wie das Instrument aussieht, so Müller. Die Stuttgarter Firma Schiedmaier ist eine der wenigen weltweit, die heute noch Celestas baut. Statt auf Saiten schlagen die Hämmer auf Metallplättchen und erzeugen so einen ganz besonderen weichen Klang. Müller begleitete Cristel de Meulder bei Eric Saties Lied: „Die Engel“.
Einen spanischen Tanz von Enrique Granados, geschrieben für Klavier, spielte Wilt virtuos auf dem Bajan.

„Rachmaninov des Harmoniums“
Nach einer Pause, bei der die Gäste gemeinsam mit den Musikern den ersten eines dreigängigen Menus genossen, lud Müller in den großen Salon. Dort stand ein Stück von Sigfrid Karg-Elert „im behaglichen Walzerzeitmaß“ auf dem Programm. Müller nannte den in Oberndorf geborenen Komponisten den „Rachmaninov des Harmoniums“.
Mit seiner Kollegin Bogna Czerwinska-Symula, eine der bekanntesten Pianistinnen aus Polen, setzte sich Müller an den Flügel. Vierhändig spielten die beiden eine Komposition von Claude Debussy.
Karl Schöttle heißt der Komponist, der um 1860 ein Stück für Harmonium und Gesang schrieb. Cristel de Meulder und Matthias Müller am Harmonium präsentierten dieses selten zu hörende Stück. Ein „Pastorale“ für Harmonium des elsässischen Komponisten Paul Wachs war ebenfalls eine Seltenheit. Müller hatte die Noten gerettet und fotokopiert.

Es folgte von Alfred Lebeau „Gestrandet“ (En Rade). Dabei wies Müller daraufhin, dass sein Harmonium „manchmal klappert“. Damals sei die Mechanik noch robuster gewesen. „Das kennt man ja von Oldtimern.“
Zu einer weiteren „Pastorale“ von Alexandre Guilmant begaben sich Pianistin Bogna Czerwinska-Symula an den Flügel und Müller ans Harmonium. Ein spannender Gegensatz. Mit einem „Walzer der Blätter“ mit Cristel de Meulder und Matthias Müller ging es in die nächste Pause und zum nächsten Gang.

Zur Ruh‘, mein Herz, zur Ruh‘
Joaquin Rodrigo, ein spanischer Komponist, hat eine Sarabande für Gitarre geschrieben. Auf dem Harmonium interpretierte Müller das Stück mit seinem immer wiederkehrenden Motiv. Nach einem Werk von Francis Poulenc übernahm die Pianistin Czerwinska-Symula. Gemeinsam spielte sie mit Müller vierhändig ein eingängiges Werk eines zeitgenössischen polnischen Komponisten.
Cristel de Meulder sang anschließend ein bezauberndes „Schlummerlied“ des deutschen Komponisten Gustav Lazarus, begleitet von Müller am Harmonium: „Zur Ruh‘, mein Herz, zur Ruh‘.“
Bart Wils hatte eine ungewöhnliche Komposition des finnischen Komponisten Petri Makkonen einstudiert: „The Flight beyond the Time“, ein Stück, das gerne bei Wettbewerben gespielt werde und bei dem die Akkordeonisten ihr Können zeigen könnten. Was Wils eindrucksvoll bewies. Die Finger wirbelten nur so über die Knöpfe.

Höhepunkt: Ein Grossmann-Stück
Dann folgte der Höhepunkt des Abends: Czerwinska-Symula spielte einen Auszug aus der Oper „Geist des Wojewoden“ ihres Landsmanns Louis Grossmann. Das Besondere: Grossmann ist der Urgroßvater von Hans-Jochem Steim, dem Hausherr von Gut Berneck. Als sie das erfahren habe, habe sie ein Stück von Grossmann gesucht und sei in dieser Oper fündig geworden. Interessanterweise sei einige Monate zuvor diese Oper in der polnischen Nationaloper wieder aufgeführt worden. Sie spiele es an diesem Abend erstmals öffentlich.
Das Stück sei eine Art Csardas, ein ungarisches Tanzstück, mit ungarischen Motiven, meinte Wils später. Das Tempo steigert sich bis zu einem furiosen Finale immer weiter. Ein musikalisches Ereignis. Die Musikerkollegen und das Publikum feierten Czerwinska-Symula nach dem letzten Ton frenetisch.
Amforias-Orgel zum Dessert
Nach dem Dessert gabs auch noch ein musikalisches Dessert, wieder in der Halle mit dem Amforias-Orgel im Zentrum. Matthias Müller spielte auf der Celesta und Cristel de Meulder sang ein flämisches Lied „Barfuß“ von August de Boeck.

Es folgte aus Carmina Burana von Carl Orff ein weiteres Lied, das Müller an der Amforias-Orgel begleitete. Da das Instrument über gelochte Papierstreifen automatisch spielen kann, sei „das Einzige, was fehlt, ein Notenständer“, scherzte Müller.
Um dem Publikum einen Eindruck von den Möglichkeiten dieses Instruments zu zeigen, legte Müller einen Papierstreifen mit dem „Danse Macabre“ von Camille Saint-Saëns ein. Die Komponisten hätten solche Musikautomaten zu ihrer Zeit keineswegs abgelehnt, erzählt Müller. Vielmehr hätten sie die Rollen kontrolliert und so dafür gesorgt, dass ihre Musik tatsächlich so erklang, wie sie sie komponiert hatten.
Auch wenn der komplizierte Mechanismus in der Amforias-Orgel die „Hauptarbeit“ leistet, der Mann am Instrument muss immer noch Register ziehen und die Lautstärke regeln.

Die Zugabe kam automatisch
Nach dieser Vorführung dankte Hausherr Hans-Jochem Steim den vier Musikerinnen und Musikern und dem Publikum. Er hoffe, dass sich herumspreche, was für ein außergewöhnlicher Abend dies gewesen sei, und sich viele Leute vornehmen, dies das nächste Mal nicht zu verpassen. Er selbst fühle sich inzwischen schon fast als Teil der „musikalischen Familie um Müller.“
Und ganz am Schluss gabs noch ein Gutsele: Steim startete zwei seiner Musikautomaten aus Zugabe sozusagen. Nochmals staunte das Publikum, diesmal nicht über die menschliche, sondern über die mechanische Kunst.

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